
So ist das mit schleichenden Prozessen: Man stellt erst im Rückblick auf große Zeiträume fest, wieviel sich tatsächlich verändert hat. Genauso ist es mir ergangen, als mir vor einigen Tagen die Betriebsanleitung meines BMW 320 aus dem Jahr 1982 in die Hände gefallen ist.
Zeitsprung ins Jahr 1996
Ich war 18 Jahre alt und hatte gerade meinen Führerschein. Dieser pustagrüne BMW 320 war dagegen nur 14 Jahre alt und über familiäre Bande für 500 DM zu haben. So kam ich zu meinem ersten eigenen Auto.


Nach drei Jahren „Freude am Fahren“ setzte der TÜV meinem BMW leider rostbedingt ein Ende. Mit meinem damaligen Budget führte ihn der Weg zu einem Verwerter in den Niederlanden.
Bis heute geblieben ist mir jedoch die Bordmappe meines 320. Heute, über 40 Jahre nach seiner Erstzulassung, ist seine Betriebsanleitung ein Zeitzeuge dafür, wie sich das Autofahren schleichend verändert hat.

Und 40 Jahre später?
Für einen Vergleich von damals und heute braucht es natürlich auch ein heute. Dafür bietet sich unser Familienauto an, ein BMW 530d aus dem Jahr 2019, oder vielmehr seine Bordmappe…

Der Blick ins Handschuhfach zeigt: Die Betriebsanleitung gibt es noch (so sicher war ich mir da anfangs nicht). Sie ist in ihrem Umfang sogar massiv gewachsen, auf stolze 410 Seiten. Weggefallen sind dagegen das Scheckheft (das gibt es nur noch digital im Infotainment) und die gesonderte Bedienungsanleitung für das Radio (das Radio lässt sich eben in Zeiten des Infotainment nicht mehr von der Fahrzeugbedienung trennen).

Blick ins Inhaltsverzeichnis damals und heute – alles anders?
Starten wir mit einem Blick ins Inhaltsverzeichnis. Schon damals waren die fünf Hauptkapitel sehr klar und übersichtlich strukturiert.

40 Jahre später zeigt das Inhaltsverzeichnis im direkten Vergleich, dass die Welt etwas komplizierter geworden ist. Ähnlich geblieben sind jedoch die beiden ersten Hauptkapitel: Da geht es um Bedienung und um Fahrtipps. Die Sicherheit ist heute nur noch ein Unterkapitel der Bedienung. Ganz entfallen sind als Hauptkapitel die Pannenhinweise und die Anleitung zu Pflege und Wartung.

Es deutet sich bereits an, was wir gleich noch am Beispiel sehen werden: Wer die neue Betriebsanleitung liest, kommt mit der eigentlichen Fahrzeugtechnik bestenfalls noch in homöopathischer Dosis in Berührung.
Blättern wir etwas und vergleichen weiter…
Damals wie heute steht also die Bedienung als erstes Kapitel ganz vorne in der Betriebsanleitung. Damals war die Funktionsvielfalt naturgemäß viel geringer, aber die wenigen Schalter wurden sehr umfassend erläutert. Das zeigt der Blick in das (eigentlich recht schlichte) Cockpit des E21.

Die Welt im Cockpit ist 40 Jahre später nicht einfacher geworden.

Die Funktionskomplexität heute offenbart das „Unter-Inhaltsverzeichnis“ im Kapitel Bedienung mit über 200 Seiten. Alleine das „Öffnen und Schließen“ beansprucht 30 Seiten, von Schlüsselvarianten über Soft-Close-Automatik bis hin zur Hinterlegung unterschiedlicher Fahrerprofile.

Da liegen die Schwerpunkte in der Betriebsanleitung des E21 ganz anders: Die funktionale Vielfalt ist schnell erfasst, dafür geht es im Kapitel „Pflege und Wartung“ tiefer in die Fahrzeugtechnik. In Teilen liest sich das wie ein Auszug aus der Bücherreihe „Wie helfe ich mir selbst“!

Wer zum Beispiel wissen will, wie man das Öl im Hinterachsgetriebe wechselt, wird auf Seite 93 schlauer; wie man Hinterrad- und Handbremse nachstellt, findet sich auf Seite 104 der Betriebsanleitung.

Solche Exkursionen in die Wartung finden sich heute in der Betriebsanleitung nicht mehr. Was die Technik angeht, bleibt das Dokument doch sehr an der Oberfläche.

Wer dieses Aggregat besser verstehen will und einen Blick auf das entsprechende Bild in der Betriebsanleitung wirft, wird möglicherweise etwas ernüchtert: Mehr als sieben Merkmale hat der Motorraum nicht, VIN-Nummer und den Starthilfeanschluss der Batterie schon inkludiert.

Vor 40 Jahren war das anders. Da bestand alleine die Erläuterung der K-Jetronic Einspritzanlage in der Betriebsanleitung aus 15 Punkten – was damals als relevant betrachtet wurde, ist heute kaum noch vorstellbar.

Und so wird bei der Lektüre beider Betriebsanleitungen deutlich, wie sich das Autofahren im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert hat: Mehr Komfort, mehr Sicherheit, mehr IT; aber eben auch (viel) mehr Komplexität und weniger Einblick in und Nähe zur Fahrzeugtechnik.
Und zu guter Letzt muss ein alter Bekannter hier Erwähnung finden, den es heute ebenfalls nicht mehr gibt: Das Scheckheft in der Bordmappe. Heute wird elektronisch im Infotainment-System dokumentiert, wann was gemacht wurde. Da bin ich gespannt, wie lange es das Prädikat „Scheckheft-gepflegt“ in den Inseraten älterer Fahrzeuge noch geben wird…

Fazit nach Lektüre beider Betriebsanleitungen
Es ist ohne Frage faszinierend, wozu Autos heute in der Lage sind und welchen Zugewinn die IT im Fahrzeug ermöglicht hat. Aber das hat auch einen Preis: Die entstandene Komplexität sorgt dafür, dass die Fahrer von der Technik heute viel weiter weg sind als vor 40 Jahren. Das wurde bei der Lektüre beider Betriebsanleitungen mehr als deutlich!
Wie ist Eure Sicht zum Autofahren im Wandel der Zeit? Ich freue mich wie immer über Kommentare zum Thema unterhalb des Beitrags!