Vor ziemlich genau zwei Jahren habe ich spontan meinen Mercedes 300 SL-24 der Baureihe R129 gekauft (siehe mein Bericht von April 2021). Mit dem Kauf bin ich auch rückblickend sehr zufrieden, ein klasse Auto in sehr schönem Zustand! Auch die Hauptuntersuchung mit Gutachten für das H-Kennzeichen hat keine Mängel ergeben.
Warum hat mein SL das Lenkrad alter Bauart?
Rückblickend habe ich mir allerdings von Beginn an folgende Frage gestellt: Warum hat mein SL eigentlich das „große“ Lenkrad alter Bauart, das im R129 bis etwa Mitte 1991 verbaut wurde? Anhand der VIN-Nummer lässt sich nachvollziehen, dass mein SL im Januar 1992 ausgeliefert wurde. Damit sollte er eigentlich das Lenkrad im neuen Design haben, das mit dem W140 im Jahr 1991 kam…
Da der SL aber in einem wirklich guten Zustand dasteht, hat mich das seit dem Kauf vor zwei Jahren nicht weiter beschäftigt, zumal ich in den zwei Jahren nur gut 2.000 km mit dem SL gefahren bin.
Ist das überhaupt richtig so?
Vor einigen Wochen kam ich auf die Idee, mir das Lenkrad nun doch genauer anzusehen. Dabei habe ich auch die Lenksäule näher betrachtet und mich zunehmend gefragt, ob die auf dem Bild zu sehende Konstruktion auch werksseitig so aussah…
Bauchgefühlsmäßig erschien mir die „Stufe“ zwischen Lenkrad und Lenksäule merkwürdig. Ein kritisch prüfender Blick von der Seite auf die Lenksäule hat diesen Eindruck untermauert: Dieses Zwischenstück zwischen Lenkrad und Lenksäule ist doch so nicht vom Werk montiert worden. Es entspricht bei genauer Betrachtung im Oberflächenmaterial weder dem Lenkrad noch der Lenksäule, und es wirkt am offenen Ende wie abgeschnitten, da die Kante minimale Grate hat.
Also habe ich einen Freund gebeten, Fotos von der Lenksäule in seinem 1989er Mercedes 500 SL zu machen (der in seinem SL aus dem Jahr 1989 praktischerweise das Lenkrad in „altem“ Design verbaut hat). Und siehe da: Das Lenkrad sitzt wie vermutet direkt auf der Lenksäule, ohne eine zusätzliche „Hülse“ wie in meinem SL.
Damit war klar: In meinem SL wurde nicht nur das Lenkrad zwischenzeitlich umgerüstet. Es wurde offenbar auch ein „Distanzstück“ zwischen Lenkrad und Lenksäule eingebaut. Erstaunlich. Ich habe mich natürlich gefragt, warum der Vorbesitzer in den Niederlanden so etwas getan hätte.
Schonmal von einem „Steering Wheel Spacer“ gehört?
Ich habe ein wenig im Netz recherchiert. Es gibt solche Abstandhalter im europäischen Ausland tatsächlich als Produkt zu kaufen! Im Englischen nennt sich so etwas „Steering Wheel Spacer“. Der Vorteil, den ein Steering Wheel Spacer bietet, soll in einer Verbesserung der Ergonomie liegen, weil das Lenkrad relativ zu den Pedalen näher am Körper stehe und damit ein besseres Fahrgefühl biete. Auf eine ABE für den deutschen Markt findet sich hier allerdings kein Hinweis…
Damit war für mich klar, dass an meinem SL eine Modifikation vorgenommen wurde, die ich schnell wieder rückgebaut haben möchte. Eine nicht näher bekannte Veränderung an Lenkrad oder Lenksäule erhöht schließlich nicht wirklich das Vertrauen in die Technik.
Neues Lenkrad für den SL – hoffentlich passt alles…
Leider ist das originale Lenkrad für den R129 bei Mercedes werksseitig schon lange nicht mehr verfügbar. Es blieb also nur die Recherche über ebay und Kleinanzeigen. Dort werden sichtlich gebrauchte Lenkräder zu Preisen zwischen 400 und 500 Euro angeboten. Nach etwas Suchen habe ich dann aber glücklicherweise auch dieses Inserat gefunden und direkt zugeschlagen:
450 Euro für ein vermeintlich nagelneues Lenkrad inkl. Airbagmodul sind ein fairer Preis. Gute Nachricht nach Erhalt des Pakets: Das Lenkrad präsentiert sich in der Realität genauso wie im Inserat beschrieben. So macht ebay Kleinanzeigen Freude!
Der nächste Schritt war nicht weniger spannend: Der Ausbau des alten Lenkrads verbunden mit der Frage, wie sich wohl das Innenleben von Lenkrad und Distanzstück darstellen würde. Ich habe dazu bewusst einen Kfz-Meister aufgesucht, der den Mercedes R129 von Beginn an in- und auswendig kennt (und zwar Firma Dömges in Niederkrüchten, eine echte Empfehlung für ältere Mercedes).
Was für eine Konstruktion war denn nun in meinem Lenkrad verborgen?
Nach Demontage des Lenkrads war Herr Dömges durchaus überrascht über die in dem Distanzstück verborgene Konstruktion: Es handelte sich nicht um ein produziertes Kaufteil, sondern um eine in Kleinarbeit gebaute Individuallösung.
Im einzelnen besteht das Distanzstück aus einem Kunststoffrohr (hellgrau im Foto erkennbar). Im Inneren des Rohres werden dann vier Stahlwinkel mit Muttern an die Mercedes-Technik geschraubt, um die erforderliche Verlängerung zwischen Lenksäule und Lenkrad herzustellen. Die Stromkabel für Airbag und Hupe im Lenkrad wurden recht hemdsärmelig verlängert, wie das nachfolgende Foto zeigt.
Insgesamt also eine kreative, individuelle Lösung – natürlich ohne ABE, und bei aller Technikbegeisterung bin ich im Bereich von Lenkung und Airbag auch nicht scharf auf kreative, individuelle Lösungen. Ich zitiere besagten Herrn Dömges, als er das Lenkrad abgebaut hatte: „Herr Lenders, die Lösung in Ihrem SL-Lenkrad gehört ins Technikmuseum!“ 🙂
Darüber, warum der niederländische Vorbesitzer diese Lösung in Auftrag gegeben hat, lässt sich natürlich nur mutmaßen. (Mein SL kommt aus dem Stuttgarter Raum und war dann für 14 Jahre bei einem Liebhaber in Rotterdam.) Fakt ist, dass mein SL keine (optionale) elektrische Lenksäulenverstellung hat. Möglicherweise war die Veranlassung des Vorbesitzers also, dass er das Lenkrad näher am Körper haben musste, ohne den Sitz nach vorne schieben zu können, vielleicht auch aus körperlichen Gründen…
Ende gut, alles gut
Und ein zweites Mal in dieser Story gibt es einen Glücksfall: An der Lenksäule hat die Konstruktion nichts verändert. Mein neues Lenkrad ließ sich völlig problemlos montieren. Und so freue ich mich jetzt sehr über ein neues, periodengerechtes und v.a. nicht mehr verbasteltes Lenkrad in meinem SL.
An meinem neuen Lenkrad im neuen Design habe ich wirklich Freude. Vor allem bin ich aber froh, dass die technische Sonderlösung in meinem SL vergleichsweise einfach durch die „richtige“ Technik ersetzt werden konnte.
Dieses Beispiel zeigt auch, wie schwierig (bis unmöglich) es sein kann, bei einem älteren Fahrzeug Modifikationen im Rahmen einer Besichtigung oder Probefahrt gezielt zu erkennen. Erstaunlich, auf was für kreative Verbesserungsideen auch Besitzer gut gepflegter Luxusautos kommen!
Welche Überraschungen habt Ihr in Fahrzeugen mit langer Vorgeschichte erlebt? Vielleicht bin ich ja nicht der einzige, der beim Kauf Modifikationen übersehen hat. Ich freue mich auf Eure Beiträge in den Kommentarfeldern unter dem Beitrag!
Moin, der R129 blieb mir ein unerfüllter Traum-Dafür wurde ein anderer erfüllt mit dem x308.
Hätte das alte Lenkrad mechanisch gepasst ohne die Eigenbau Verlängerung?
Bevorzuge die erste Serie ohne Mopf und hätte es sogar drin gelassen wenn technisch gegeben ✌️
Moin! Ja, das alte Lenkrad hätte auch gepasst, ohne die Eigenbau-Verlängerung. Es ist natürlich Geschmacksache, aber mir gefällt es so besser und es ist eben auch der originale Auslieferungszustand.
Hallo Michael, interessanter Bericht. Der hat mich veranlasst, gleich mal in mein Archiv zu gehen, denn ich hatte ab 2002 auch ein paar Jahre lang einen 300 SL-24 aus 4/1991. Und siehe da – Du hast vollkommen recht, die Lenkräder aus 1991 und 1992 unterscheiden sich. Wieder was gelernt ! LG Arndt