Es gibt einen „neuen alten Jaguar“ im Freundeskreis! Ich freue mich sehr, dass sich Jan (der bereits unzählige Youngtimer besessen hat) nun zum zweiten Mal für einen Jaguar entschieden hat. Dankenswerterweise hat er sich spontan bereit erklärt, seinen „Entscheidungsprozess“ zugunsten dieses besonders schönen XJ40 in diesem Gastbeitrag wiederzugeben. Damit gebe ich das Wort gerne an Jan weiter!
>>Es waren unterschiedliche Gefühle, die mich diesmal bewogen haben, mir wieder einen Jaguar zu kaufen. Zum einen war es das fast esoterisch anmutende Gefühl, dass ältere Autos aus den 80er und 90er Jahren doch eine Seele haben, die Trost sucht. Dass sie Liebe und Zuwendung brauchen, wenn sie verstoßen oder längere Zeit vernachlässigt wurden. Hinzu kommt mein Mitgefühl für einen guten Freund, der sich vor ein paar Jahren für relativ viel Geld einen XJ40 gekauft, einiges an Geld investiert hat, ohne jemals warm oder glücklich mit ihm zu werden. Er würde ihn mir gerne verkaufen. Und zuletzt die einfach objektiv zutreffende Erkenntnis: Der XJ40 wurde zu Unrecht so viele Jahre von den Fans der Marke verschmäht, er hat diese flache, klassische Jaguar-Form, einen wundervoll britisch-verrückten Innenraum, viele mit Liebe ausgeführte Details und unterscheidet sich so wohltuend von den vielen Mercedes und BMW, die ich bisher gefahren habe.
Ich hätte mich immer als klassischen Benz-Fan bezeichnet. So viele unterschiedliche Modelle hatte und habe ich schon in der Garage, die in meiner Kindheit noch zum normalen Straßenbild gehörten. Im W124 habe ich selbst oft minderjährig Platz genommen bei meinen Eltern, im W140 der Eltern meines Schulfreundes auch, an vielen anderen Modellen habe ich mir von außen auf der Straße schon damals die Nase plattgedrückt. Doch ein Jaguar war schon aus meiner Kinder-Perspektive ein echter Exot: ein Engländer, vor dessen Technik man in den 90ern gemeinhin Ehrfurcht (mit der Tendenz zur Furcht) hatte und den nie jemand aus meinem Umfeld in Betracht gezogen hätte, zu kaufen.
Nun stehe ich gemeinsam mit meinem Freund Axel abends um 22 Uhr in einer Tiefgarage im Essener Süden, der exotische flach wirkende Wagen aus den frühen 90er Jahren steht direkt vor mir.
Sein später XJ40 Sovereign, im Oktober 1993 erstzugelassen, in der wunderschönen Farbkombination außen Westminster Blue (dunkelblau uni) mit dunkelblauem Leder im Innenraum. Gerade mal 63.000 Kilometer stehen auf dem Tacho des in Deutschland erstzugelassenen Wagens. Die fast schon modern wirkenden 16-Zoll-Räder „20 spoke“, die auch auf X300 und X308 noch montiert wurde, kontrastieren wundervoll zum Westminster Blue und lassen den Jag leichtfüßig und hoch über dem Boden schwebend aussehen. Die verchromten Spiegel mag ich, die Türrahmen in Chrom sind so wunderbar schmal und feingliedrig. Selbst die dunklen kastenförmigen Rückleuchten, die ich früher immer etwas plump und „zubehörartig“ fand, kommen mir an diesem Sovereign erstaunlich elegant vor, eine gelungene Kombination des Designs der 80er mit der klassischen Jaguarform.
Die dunkelblaue Katze trägt vorne die Rundscheinwerfer, die beim XJ40 aus meiner Sicht mehr an klassisches Jaguardesign erinnern als die rechteckigen „Styled Headlamps“, die der Sovereign bis 11/92 hatte, die danach aber nur noch beim Daimler serienmäßig verbaut wurden.
Hergefahren bin ich mit meinem silbernen S320 W140, der nun schräg vor der Parklücke des Jaguar steht und wirkt wie aus einer ganz anderen Welt: So unglaublich schwer und massiv sieht er aus,wie gepanzert mit seinen großen geraden Flächen und den gefühlt unendlich schweren Türen. Der XJ40 wirkt neben ihm so flach, so fragil und so filigran. Vorsichtig, als hätte ich Sorge mit meinen Fingern das Blech zu beschädigen, fühle ich die Radläufe nach Rost ab und finde keinen. Ich lege mich auf den Rücken und begutachte die Schweller, an denen sich erste Spinnweben vom Stehen zeigen, aber kein Rost. Die Batterie ist leer, ich öffne die Tür und blicke in einen makellos gepflegten Innenraum. Der Duft nach weichem Leder betört sofort, ebenso das Wurzelholz, das im Gegensatz zu späteren Jaguar-Fahrzeugen keinerlei Verdacht aufkommen lässt, ein Imitat aus Plastik zu sein. Über ein paar Klarlackrisse in der Holzleiste in der Fahrertür sehe ich da gerne hinweg. Der Blick nach oben verrät: Der Himmel wurde schon einmal gemacht, ein leichter Farbunterschied zu den Sonnenblenden zeigt das. Hier ist kein Handlungsbedarf. Ein Booster, den wir gemeinsam an der Batterie im Kofferraum anklemmen, erweckt die Instrumente zum Leben.
Nach rund drei Monaten Standzeit reicht ein Schlüsseldreh, um den 4-Liter-Reihensechszylinder erwachen zu lassen. Er läuft nicht, er schnurrt. Als würde er sich freuen, heute Abend endlich einmal wieder sein Garagen-Verlies verlassen zu dürfen.
Ausparken will gekonnt sein. Mit seinem gefühlt riesigen Wendekreis braucht es ein paar Mal mehr vor und zurück, bis ich den XJ40 um diverse Poller herum in Richtung Ausgang bugsiert habe. Axel hat auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Er hat genug vom Jaguar: „Er ist eine schöne Skulptur, ich könnte den Motor ausbauen, ihn mir nur hinstellen und angucken“, meint er. Im Februar hat er (für sehr viel Geld) noch eine große Inspektion mit H-Abnahme bekommen. Danach hat er ihn abgestellt und bei der nächsten Fahrt das Vertrauen zu ihm irreversibel verloren: Die Automatik schaltete nicht mehr, außerdem machte das Gebläse keinen Mux. Sein war Schicksal besiegelt, der Jag muss weg, sagt er.
Ich fahre rechts aus der Garage auf die Straße und stelle ebenfalls fest: Er schaltet nicht. Der Dunkelheit des Abends zum Dank ist mir gleich aufgefallen, dass beim Betätigen des J-Gate-Wählhebels die Fahrstufe „D“ nicht illuminiert wird. Ich halte rechts an, bewege den Hebel rüber in die linke Kulisse, wieder zurück und siehe da. „D“ leuchtet auf. Beim nächsten Losfahren schaltet der Sovereign wieder weich und völlig normal. „Das kann ja nichts Großes sein“ denke ich mir noch, „das bekomme ich schon in den Griff“. Auch Axel ist erstaunt, seine Liebe zur britischen Katze wird hierdurch aber nicht wieder entfacht. Das Gebläse läuft in der Tat nicht, es braucht einen Dreh auf „Defrost“. Erst danach bleiben die Gebläsemotoren auch in den geringeren Stufen aktiviert und tun, was sie sollen. Kalte Luft ist aber auch mit solcher Überzeugungsarbeit nicht zu bekommen, nur die warme Außenluft des Sommerabends. Ich notiere in Gedanken einen Klimaservice auf der To-Do-Liste und erinnere mich an einen Forumsbeitrag im Internet, dessen Autor meinte, dass beim XJ40 das Gebläse erst nach zehn Fahrtminuten anspringe, was im Stadtverkehr manchmal eben ausbleibe. Das finde ich zwar in der Konzeption irre, aber dem Engländer traue ich das durchaus zu.
„Vielleicht liegt darin schon die Lösung des Problems“, denke ich noch so bei mir, als ich auf der leeren Straße den Blinker nach rechts setze und dem ungewöhnlich elektronisch klickenden Sound des Blinkergeräuschs lausche. Der Motor läuft wunderbar ruhig im Stand, kein Schütteln. Er hängt gut am Gas, hat jederzeit genug Kraft. Als ich links auf die Autobahn 52 abbiege, beschleunigt er problem- und weitestgehend geräuschlos, ohne mich zum Kickdown zu verleiten. Es kommt mir vor, als wollte er mir sagen: „Ich kann schnell fahren, aber das muss ja nicht sein. Ich kann auch einen Kickdown, aber das gehört sich nun wirklich nicht.“
Und so finde ich den XJ40 mit Tempo 130 auf der linken Spur und niedriger Drehzahl angenehm entschleunigend. Er strahlt so viel Ruhe und Gediegenheit aus, Eile und Drängelei steht ihm einfach nicht zu Gesicht. Es duftet weiterhin intensiv nach Leder, alle Lämpchen im Innenraum funktionieren. Staunend über die Logik der Konstruktion aktiviere ich mit zwei Fingern durch Umlegen eines sehr dünnen Schalters an der Seite und Drücken eines Knopfes auf einer Art „Bedientablett“ die Cruise Control, während wir uns bereits Düsseldorf nähern. Für ein wenig klassische Musik, die dem Jag gut gestanden hätte, fehlt nach dem Malheur mit der entladenen Batterie gerade der Radiocode. Das macht nichts, der sonore Klang des Reihensechszylinder entschädigt dafür. Kurz vor Düsseldorf fahren wir ab und in der Gegenrichtung wieder auf. Ich fasse etwas Vertrauen zum unvertrauten Engländer. Vor Jahren nannte ich kurzzeitig mal einen etwas verwohnten X300 mein Eigen, der gleich von Beginn an viele Probleme mit sich brachte, unter anderem elektronische Ausfälle und eine defekte Kopfdichtung. Auch wenn ich mich an viele Eigenheiten der Bedienung noch erinnere, sind beide Fahrzeuge aufgrund ihres Zustands nicht vergleichbar. Dieser XJ40 ist eine andere Klasse. Das Ende der Probefahrt hinterlässt ein warmes Gefühl zum Jaguar. Als wir ihn in der Garage wieder abstellen, ist er wieder so weit aufgeladen, dass er meinen Druck auf die Fernbedienung zum Schließen schon wieder mit einem wundervoll „retro“ klingenden „piep, piep“ quittiert. Axel schaut erstaunt, für ihn hat die Fernbedienung nie funktioniert. Mir ist aber eine merkwürdige Kugel über dem Innenspiegel während der Fahrt aufgefallen. Richtet man die Fernbedienung genau auf diesen Punkt, funktioniert es erstaunlich gut.
Ich lese ihn den nächsten Tagen noch viel über den XJ40, um eine bessere Grundlage für die Entscheidung zu haben. Das Lesen schürt eher die Furcht vor hohen Folgekosten und nicht lieferbaren Teilen, als dass es mich beruhigt. „Self-levelling-suspension“ hinten ist ein Schreckgespenst, das mich nachts heimsucht. Ich verfluche leise den Brexit, als ich feststelle, dass in England viel mehr Teile viel günstiger als hierzulande zu bekommen sind. Aber einfach dort zu bestellen, dürfte noch immer kein Ding der Unmöglichkeit sein. Einfuhrabgaben fallen zwar an, aber aus der Welt ist Great Britain deshalb noch immer nicht.
Ich glaube, ich werde es wagen.
Jan Wassenberg
Update im Oktober 2024: Erste Erfahrungen nach dem Kauf und viele weitere Fotos vom Jaguar finden sich in diesem neuen Beitrag.