Zwei Jaguar der Baureihe X308, beide Jahrgang 2000, beide mit 4.0-Liter V8, beide in der schönen Lackierung „Emerald Green“ und mit gehobener Ausstattung – ein echtes Zwillingspaar also? Nicht ganz! Während es sich bei einem der beiden um einen „echten“ Jaguar (in der gehobenen Austattungslinie Sovereign) handelt, ist der andere ein Daimler (bzw. genauer gesagt ein Jaguar Daimler V8). Welche Unterschiede das genau mit sich bringt, werden wir nachfolgend beleuchten.
Ursprünglich war die Daimler Motor Company übrigens wirklich ein eigenständiger Automobilhersteller, dessen Name tatsächlich auf ein frühes Joint Venture mit Gottlieb Daimler zurückgeht; mehr Informationen zur wechselhaften Unternehmensgeschichte der Daimler Motor Company finden sich auf Wikipedia.
Die Daimler Motor Company wurde im Jahr 1960 von Jaguar aufgekauft. Die Modellpalette von Daimler war zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich überaltert, die Stückzahlen waren drastisch gesunken, Daimler war in finanziellen Schwierigkeiten. Jaguar-Gründer Sir William Lyons selbst entschied damals, den Markennamen Daimler aber als Topmarke von Jaguar fortzuführen und für Limousinen-Derivate auf Basis ausgewählter Jaguar-Modelle fortzuführen. Der unten abgebildete Daimler DS420 Limousine basierte technisch auf dem Jaguar Mark X / 420G und wurde von 1968 bis 1992 (!) produziert.
Zurück zu unserem ungleichen Zwillingspaar. Die Unterschiede beginnen der Namensgebung folgend ganz offensichtlich mit der Beschriftung am Heck: Während der eine den Jaguar-Schriftzug trägt, schmückt sich der andere mit dem Daimler-Signet. Übrigens gleicht die Schreibweise des Daimler-Logos mit dem langgeschwungenen „D“ nach wie vor dem Daimler-Schriftzug vom Zeitpunkt der Gründung im Jahr 1910.
Da die Daimler-Limousinen grundsätzlich das oberste Ende der Jaguar-Preisliste darstellten, besteht ein weiterer Unterschied im damaligen Listenpreis, wie ein Blick in die deutsche Jaguar-Preisliste offenbart (Stand Mai 1998): Für den Sovereign 4.0 waren 121.100 DM fällig (ohne Frage schon ein stolzer Preis), während für den Daimler V8 153.300 DM zu zahlen waren – ein Plus von mehr als 25%, für das es natürlich auch annähernd eine Vollausstattung gab.
Was sind nun die Unterschiede zwischen beiden im Detail?
Vorweg, beiden gemeinsam ist die Technik. Antrieb, Getriebe, und jegliche Fahrzeug-Technologie sind identisch, da gibt es keine Unterschiede zwischen den beiden. Die Unterschiede, die es aber gab, lassen sich in zwei Kategorien einteilen:
Da sind zum einen die Sonderausstattungen, die der Daimler – anders als der Sovereign – bereits serienmäßig an Bord hatte. Zum anderen gibt es aber auch typische „Daimler-Features“, die es in anderen Modellen bei Jaguar wie dem Sovereign nicht für Geld und gute Worte gab.
Zunächst zur ersten Kategorie – ein Daimler V8 hatte die folgenden Optionen bereits serienmäßig an Bord:
- Elektrisches Schiebe-/ Hubdach (2.260 DM beim Sovereign)
- Hochdruck-Scheinwerfer-Reinigungsanlage (840 DM beim Sovereign)
- Langversion (+12,5 cm) für mehr Beinraum im Fond (8.800 DM beim Sovereign) – Hinweis: Daimler-Modelle konnten auf besondere Bestellung ohne Aufpreis auch als Sonderausführung in einer Kurzversion geliefert werden
- CD-Wechsler im Kofferraum (1.030 DM beim Sovereign)
- Contrast Piping (farbig abgesetzte Polsterkedern) (1.430 DM beim Sovereign)
- Elektrische Verstellung des Beifahrersitzes von hinten (370 DM beim Sovereign)
- Leder-/ Holz-Lenkrad (870 DM beim Sovereign)
- Sitzheizung vorn und hinten (Sitzheizung vorn gab es bereits im Sovereign-Paket, Sitzheizung hinten 970 DM beim Sovereign)
- Sonnenschutz-Rollo hinten (420 DM beim Sovereign)
- Elektrisch einklappbare und automatisch ablenkbare Außenspiegel (720 DM beim Sovereign)
- Cupholder in Mittelarmlehne (150 DM beim Sovereign)
Aufgrund dieser Aufpreispolitik wurden nahezu alle Daimler-Modelle mit dem langen Radstand ausgeliefert (ganz selten findet man einen „kurzen“ X308 in Daimler-Ausführung, hier zum Beispiel auf dieser Seite) – anders als der Sovereign, der mehrheitlich mit dem normalen Radstand bestellt wurde. Der lange Radstand führt zu einem Plus von 12,5 cm bei der Beinfreiheit im Fond und auch das Dach ist 1,9 cm höher, wie auch die folgende Abbildung aus dem 1998er X308-Prospekt zeigt.
Wer alles das ohnehin bestellen wollte, hätte beim Sovereign 17.860 DM zusätzlich gezahlt – damit wäre der Daimler also ausstattungsbereinigt noch rund 15.000 DM teurer als der Sovereign. Was gab es dafür noch zusätzlich?
Zu einem Daimler gehörten außerdem noch die folgenden, typischen Merkmale:
Generationsübergreifendes Erkennungszeichen jedes Daimlers sind seit jeher die geschwungene Linienführung an Kühlergrill und Kofferraumdeckel, die es bei Jaguar nie gegeben hat.
Grundsätzlich findet sich das Daimler-Logo an zahlreichen Stellen innen und außen; Jaguar hat wirklich viel Mühe darauf verwendet, dass möglichst nirgendwo ein Jaguar-Schriftzug im Daimler auftaucht, wie die nachfolgenden Bilder beweisen.
Es gibt über die Schriftzüge hinaus aber auch noch die typischen Ausstattungsmerkmale eines jeden Daimlers, die durchaus zum gefühlten Luxus dieses Modells beitragen! Als da wären:
Picknicktischchen aus Walnusswurzelholz im Fond, …
…die Rosenholz-Intarsien im Walnussholz (nein, es sind nicht einfach nur aufgemalte Linien, es sind Intarsien), …
… hochflorige Teppiche aus Lammwolle im Daimler (statt Veloursteppichen im Sovereign) und mit Daimler-Einstiegsleisten, …
… und verchromte Außenspiegel und Türgriffe, die es ebenfalls nur beim Daimler gab. An Feinheiten wie diesen können Kenner einen Daimler erkennen.
Und noch ein weiteres Detail gab es nur für Daimler-Modelle: Die elektrisch verstellbaren Einzelsitze mit Sitzheizung und Lordosenstütze im Fond, deren Mehrpreis beim Daimler V8 damals 3.130 DM betrug (beim stärker motorisierten Daimler Super V8 waren sie ohne Mehrpreis zu haben). Sie machen deutlich, dass der Daimler das Fahrzeug der Wahl für diejenigen Kunden war, die nicht immer selbst Hand anlegen wollten, sondern zumindest hin und wieder chauffiert werden möchten.
Und es gibt eine weitere Option, die dem Daimler vorbehalten war: Die sog. Lederausstattung Autolux in Rafflederstruktur gab es im Jahr 1998 für 5.440 DM beim Daimler V8 (Serie beim Daimler Super V8), nicht aber bei den anderen Jaguar-Modellen. Dieses Leder hat eine weichere Oberfläche, was daraus resultiert, dass das Leder bei der Herstellung nicht so stark gedehnt wird wie das „normale“ Leder. Das normale Leder wird nach dem Dehnvorgang mit Walzen geprägt, um die „typische“ Lederstruktur zurückzuerhalten. Das Autolux-Leder ist damit dicker, weicher, „pro Kuh“ weniger ergiebig und deshalb auch teurer in der Herstellung.
Und dann noch ganz interessant am Rande: Für einen Daimler gab es ein paar weitere, im Markt heute nur sehr selten anzutreffende Optionen, die es für den Jaguar nicht gab. Diese finden sich in der Preisliste als „zusätzliche Sonderausstattungen für Daimler-Limousinen“. Dazu gehören eher exotische Dinge wie z.B. nicht serienmäßige Farbkombinationen im Interieur, eine zusätzliche Telefonhalterung im Fond oder auch die Metallic-Sonderfarben vom XJR oder XK8.
Eine technische Kleinigkeit unterscheidet den Jaguar und den Daimler auch am Unterboden des Fahrzeugs: Beim Daimler befinden sich hinter den Katalysatoren und vor dem Vorschalldämpfer zwei „Flexrohre“ (sog. „Flexible Couplings“), die der Jaguar (mit Ausnahme des XJR) nicht hat. Die Flexrohre bestehen aus einem verflochtenen Metallgewebe. Ihre Funktion besteht im Kern darin, die (unterschiedlichen) Schwingungen von Motor einerseits und Karosserie / Auspuffanlage andererseits etwas zu entkoppeln und damit Vibrationen im Gesamtsystem zu reduzieren.
(Bildquelle: Jaguar Technical Guide XJ Sedan, 1998, S. 48)
Es ist also insgesamt eine Vielzahl kleiner Besonderheiten, die einen Daimler auszeichnet. War der Daimler damals seinen durchaus signifikanten Mehrpreis wert? Das liegt im Auge des Betrachters; man bekam mit dem Daimler ein etwas selteneres, exklusiveres und sehr hochwertig ausgestattetes Fahrzeug. Rein sachlich hingegen dürfte der Aufpreis kaum zu argumentieren sein.
Ist der Daimler beim Kauf eines X308 in der heutigen Zeit zwingend das Modell der Wahl? Die Antwort lautet einmal mehr „kommt drauf an“.
Für einen Daimler dürfte sprechen:
- Es ist die seltenste und eleganteste Variante des X308, an deren traditionsreichen Feinheiten man viel Freude haben kann
- Man kann sich einer (Nahezu-) Vollausstattung sicher sein
- Der lange Radstand, den fast alle Daimler haben, vergrößert die (ansonsten etwas knappe) Beinfreiheit im Fond deutlich
- Die Einzelsitze im Fond sind in Verbindung mit dem Autolux-Leder nochmal eine Besonderheit, die das Fahrzeug aufwerten
Gegen einen Daimler spricht vielleicht:
- Ein Sovereign wirkt insgesamt etwas sportlicher als der Daimler mit seinen Picknicktischen, den verchromten Außenspiegeln, usw.
- Der lange Radstand ist nicht jedermanns Sache – manche bevorzugen die Optik mit kurzem Radstand
- Das serienmäßige Schiebedach verringert die Kopffreiheit ein wenig – wer deshalb zwingend ein Modell ohne Schiebedach sucht, dürfte beim Daimler nicht glücklich werden
In die Suche nach dem „richtigen“ X308 spielen aber noch andere Faktoren, v.a. auch der Erhaltungszustand und persönliche Präferenzen bei der Farbwahl. Beides sind sehr hochwertig ausgestattete Luxuslimousinen, auch nach heutigen Maßstäben. Es sind wirklich Nuancen, die den Daimler auszeichnen. Wer an diesen Feinheiten Freude entwickelt, der sollte auf die Suche nach einem Daimler gehen, denke ich. Noch gibt der Markt eine durchaus vernünftige Auswahl her – viel Spaß bei der Entscheidung 🙂
Last not least: Ein herzliches Dankeschön an meinen Leser Mark, der diese Fotostrecke mit seinem sehr schönen Jaguar XJ8 4.0 Sovereign überhaupt erst möglich gemacht hat! War ein klasse Foto-Shooting!
Großes Lob, wie Immer ein sehr schön zu lesender und informativer Bericht.
Des Weiteren ist die Internetseite / Blog wirklich sehr gelungen. Bitte weiter so!
Gruß, Marcel
Hallo Marcel, vielen herzlichen Dank für Dein positives Feedback!
Beste Grüße
Michael
Hallo Michael,
habe heute am Abend mit sehr großem Vergnügen mal wieder in deinem Blog recherchiert. Die Ausarbeitung der Details sind ganz große Klasse! Leider ist mein X308 bei diesem Kaiserwetter noch immer bei Herrn Hartsen. Dadurch habe ich aber schon Zeit gefunden für einen Entwurf zu einem Beitrag über den Erwerb meines Jag: Euphorie und eine kleine Ernüchterung.
Viele Grüße aus Bayern
Anton
Hallo Michael,
ganz herzlichen Dank für Deine sehr informativen und aufschlussreichen Informationen zum X 308. Ich habe recht viel Erfahrung mit klassischen Automobilen, beschäftige mich aber noch nicht lange mit Jaguar. Zunächst habe ich eher nach einem X 350 geschaut, mich dann aber immer mehr in Richtung X 308 bewegt, wie sind da Eure Empfehlungen?
Zunächst einmal Danke und beste Grüße aus Düsseldorf,
Tim
Hallo Tim,
danke für Deine Nachricht! Ich kann Dir einen (guten) X308 natürlich nur empfehlen, aus meiner Sicht hat er noch deutlich mehr vom „klassischen“ Jaguar geerbt als der X350. Der X350 ist ohne Frage das modernere Auto, aber eben auch etwas weniger klassisch…
Viele Grüße vom Niederrhein nach Düsseldorf
Michael
Hallo Michael,
Danke für die schnelle Antwort, ich bin jetzt natürlich im Netzt immer wieder auf Dennis Gath als Händler gestoßen, eher etwas höherpreisig, aber mein Eindruck ist recht gut, hast Du oder Dein Netzwerk Erfahrungen? Wo bekommt man am besten ein sehr gutes Auto, und V8 oder Super V8?
Beste Grüße an den Niederrhein,
Tim
Hallo Tim,
mit einem guten Tipp, wo man pauschal am besten einen guten X308 bekommt, kann ich leider nicht dienen. Meine eigene Erfahrung ist die, dass man ggf. einige Autos angucken muss, bis man das richtige findet. Ich selbst beziehe dabei auch Angebote aus privater Hand ein. Der von Dir genannte Händler hat sicherlich das größte Angebot in Deutschland auf dem Hof und ist zumindest mal eine Reise wert… Du kannst ja gerne mal von Deiner Suche berichten! Viel Spaß & Erfolg!
Viele Grüße
Michael