Rückblende ins Jahr 1997: Jaguar führt den X308 ein und beerdigt damit den Zwölfzylinder. Der legendäre Daimler Double Six (man beachte die vornehme Untertreibung im Namen) wird nach Jahrzehnten abgelöst. Die neue „Über-Limousine“ von Jaguar heißt jetzt Daimler Super V8. Wo liegen die Unterschiede zum Double Six?
Dieser Vorgang brachte für fortgeschrittene Jaguar-Fans ein gehöriges Stück Trauerarbeit mit sich, da sie fortan ohne Zwölfzylinder leben müssen (den BMW und Mercedes wenige Jahre zuvor mit 750i und S600 erst eingeführt hatten); auch auto motor und sport widmete diesem Vorgang in Heft 2/1998 einen fast schon wehmütig wirkenden Artikel:
Wozu braucht es noch einen V12, ein Relikt aus sorglosen Tagen, wenn der neue V8-Motor alles besser kann? Wozu einen alten, jede politische Korrektheit mißachtenden Säufer in die Zukunft päppeln? Logisch, dass bei dieser Betrachtungsweise die Daumen im Jaguar-Vorstand nach unten gehen mussten.
auto motor und sport 2/1998, Seite 59
Der Trauer über die Ablösung des Double Six stehen aber Tatsachen gegenüber, die den Schmerz erheblich lindern sollten:
- Beim X308 handelt es sich um das in vielerlei Hinsicht bessere Auto. (Auf dieser Seite habe ich die wesentlichen Vorteile des X308 gegenüber dem X300 aufgeführt.)
- Die mehr als gelungene Karosserie des X300 wurde nur in Details modernisiert und blieb in ihrer Form im Wesentlichen erhalten.
- Der V8-Motor kann vieles besser als der V12, dazu gleich mehr.
Die faktische Überlegenheit des neuen Aggregats mit Kompressor-V8 offenbaren die technischen Daten am deutlichsten:
Zusammengefasst: Der Daimler Super V8 beschleunigt merklich besser, ist 175 kg leichter, braucht im Test (etwas) weniger Benzin und kostet last not least rund 20.000 DM weniger! (Am Rande, wo gibt es das heute noch, dass das überlegene Nachfolgemodell 10% günstiger wird?)
Ist nun also wirklich alles besser? Naja, vielleicht nicht ganz. Auch wenn der Super V8 den Double Six ausbeschleunigt und dabei Geld spart, deklassieren kann er ihn nicht. In den Worten des auto motor und sport-Redakteurs im Jahre 1998:
„Wenn es der Ton ist, der die Musik macht, dann spricht alles für den V12. Während letzterer immer nur samtig summt, irritiert der V8 mit aufdringlichen Ladergeräuschen, die den erfahrenen Jaguar-Besitzer schon deshalb alarmieren müssten, weil sie fatal an ein defektes Achsgetriebe erinnern. Was den Ton angeht, könnte man ebenso gut ein Symphonieorchester mit einer Trambahn vergleichen.“
So kommt es, wie es kommen musste: Der neue bietet mehr Temperament, aber der alte mehr Kultur. Schade, dass es bei Jaguar keinen Motor gibt, der beides kann.
auto motor und sport 2/1998, Seite 62
Zum besonderen Reiz des Jaguar-Zwölfzylinders gibt es übrigens auf dieser Seite einen eigenen Beitrag, inklusive akustischer Kostprobe im Video.
Sprung zurück in die Gegenwart: Heute hat man die Qual der Wahl (oder man kauft beide). Beide liegen als ehemalige Topmodelle auch heute an der preislichen Spitze ihrer Baureihen, wobei gerade gute Daimler Double Six der Baureihe X300 preislich zunehmend abheben (hier gibt es mehr Informationen dazu). Wem es primär um den Zwölfzylinder geht, der findet vielleicht auch im Vorgänger-Jaguar XJ12 (dem XJ81 also) eine Alternative, die derzeit preislich noch erheblich günstiger ist.
So oder so, ich wünsche mit jedem der beiden viel Spaß beim Suchen, Finden und Fahren. Beide sind begehrenswerter denn je!
Hallo Herr Lenders,
ich bin beim Stöbern nach einem Double Six auf Ihre Website gestoßen und finde sie hervorragend gemacht (das kann ich beurteilen da ich seit fast 20 Jahren die Zeitschrift für den Classic Cadillac Club Deutschland mache). Denn das Thema Auto ist ja nicht nur technisch, sondern hat sehr viel mit Lebensstil und Mentalität zu tun.
Bei Ihren früheren Fahrzeugen war ja auch ein Pontiac Parisienne dabei. Das ist die Ecke aus der ich komme. Meine Sammlung besteht aus 23 Fahrzeugen mit dem Schwerpunkt Cadillac, Oldsmobile und Buick sowie Lincoln, Chrysler und als Totalexot eine W 116-S-Klasse von 1978. Baujahresmäßig bin ich – da mein Schwerpunkt auf Komfort liegt und ich in einem klassischen Auto (der W116 iist die Ausnahme) stets mindestens den Komfort der heute aktuellen S-Klasse haben will – zwischen 1977 und 1996 unterwegs. Die Höhepunkte meiner persönlichen Werteskala liegen beim 78er Lincoln Continental (7,5 Liter, es ist ein lautloses Schweben und hat mit einem Auto eigentlich nichts zu tun), dem 79er OIdsmobile Ninety-Eight (6,6 Liter Smallblock mit unvergleichlicher Samtheit), dem 82er Buick Electra (der Antrieb ist lesier als der Tesla was im übrigen für fast alle meine Fahrzeuge gilt, plüschiger Samt wie in diesem Auto findet sich sonst nirgendwo), dem 81er Cadillac Seville (mit einem V 8-6-4 bei dem der Wechsel der Zylinderzahl nur durch die Anzeige auf dem Bordcomputer bemerkt werden kann) und dem 91er Park Avenue (der einzige V6 der leiser ist als alle V8-Antriebe die nicht aus den USA kommen).
Das ist auch der Grund warum mich der V12 im Jaguar schon immer fasziniert hat. Ich kenne ihn von meinem Kanzleikollegen in der Version aus den frühen 80er Jahren und habe immer mit Hochgenuß den Drehzahlmesser betrachtet wenn er lautlos mit 800 Umdrehungen einen Hügel hinauffuhr.
Auch ist die Ästhetik der X300/X308-Karosserie unschlagbar. Ich hatte einmal Ende der 90er Jahre einen Testwagen zuhause und bin abends ständig vor die Tür gegangen weil ich mich an der Linienführung nicht sattsehen konnte.
Deshalb ist es eigentlich verwunderlich daß ich noch keinen Jaguar habe; das liegt aber vielleicht daran daß ich technisch ein Auto voll im Griff haben will. So hatte ich auch bei meinem ersten Lincoln nach Abschluß der Verhandlungen mit dem Verkäufer mehr als einen Tag gezögert bevor ich den Klick auf den Email-Versandbutton gewagt habe weil ich die technische Vertrautheit mit dem (übrigens exzellenten) technischen Layout von GM im Lincoln nicht hatte.
Jedenfalls haben Sie mir mit Ihrer Seite gute Inputs gegeben, auch wenn ich eine Frage noch nirgends im Web habe klären können. Vielleicht wissen Sie hier mehr: Der V12 hat keine Hydrostößel (auch nicht in der 6,0-Liter-Ausführung?). Ich habe gesehen daß es im Zubehörhandel einen Hydrostößel-Adaptersatz gibt. Ist das tatsächlich eine Nach- oder Umsrüstungsmöglichkeit oder handelt es sich nur um normale Teile für den Ventiltrieb?
Beste Grüße aus Vaterstetten bei München und weiterhin viel Freude an Ihrem famosen 308er!
Burkhard Brießmann
Hallo Herr Brießmann, vielen Dank für Ihr positives Feedback. Ihre Schilderungen zu Ihrer Auto-Sammlung machen mir auch schon wieder Lust auf US-Fahrzeuge… Die Frage zu den Hydrostößeln kann ich ohne Recherche aber offen gestanden auch nicht beantworten, tut mir leid. So tiergehend habe ich mich mit dem V12 (noch) nicht beschäftigt. Kommt vielleicht noch, wenn er eines Tages mal in meiner Garage steht! Herzliche Grüße, Michael Lenders