Zweimal Mercedes SL, Baureihe R129, erste Serie – einmal als 300 SL-24, einmal als 500 SL. Wie unterschiedlich sind die beiden Modelle? Überwiegen im Fahreindruck die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten? Frei nach Mark Twain gibt es keinen besseren Weg, jemanden gut kennenzulernen, als eine gemeinsame Reise. Also los – auf geht’s ins Münsterland mit unserem Zwillingspaar!
Beginnen wir mit einem Blick in die Historie der Beiden: Wir schreiben März 1989, nach 18 Jahren Bauzeit wird der R107 vom R129 als neuer Generation des Mercedes SL abgelöst. Mercedes überraschte die Öffentlichkeit mit einem wahren Feuerwerk technischer Innovationen. Motoren, Sicherheit, Fahrwerk, Verdeckkonstruktion – in allen diesen Aspekten setzte dieser Roadster neue Maßstäbe.
Unser Mercedes 500 SL in blauschwarz-metallic stammt aus dem Jahr 1989 und ist eines der frühen Modelle der Baureihe R129, was an der Fahrgestellnummer zu erkennen ist: Es handelt sich um Exemplar Nummer 1.107 – bei über 200.000 gebauten R129 also wirklich einer der allerersten.
Dieser 500 SL ist bis heute im praktisch perfekten Originalzustand erhalten. Sein Leben begann in der Hand eines Spediteurs, dessen Frau das Auto nach seinem Tod noch viele Jahre weiter gefahren ist. Seit einigen Jahren ist das Auto Teil der Sammlung meines Freunds Henning und wurde bis heute durchgängig bei Mercedes scheckheftgepflegt.
Die Sonderausstattungen dieses 500 SL lassen sich als standesgemäß bezeichnen. Schwarzes Leder, Airbag, Klimaanlage, Memory-Sitze, Sitzheizung, Tempomat, Funkfernbedienung, ASR und das damalige Top-Radio Becker Mexico Code sind an Bord.
Meinen Mercedes 300 SL-24 hatte ich bereits in diesem Beitrag vorgestellt. Er stammt aus dem Jahr 1992 und hat gerade die Laufleistung von 50.000 Kilometern geschafft. Wenig für ein Alter von 30 Jahren – nachdem er in erster Hand der Geschäftsführung des Tunnelbau-Unternehmens Herrenknecht diente, führte ihn sein Weg für einige Jahre in zweiter Hand zu einem Privatbesitzer nach Rotterdam. Schließlich brachte er rund 10 Jahre in einer Sammlung in Amsterdam zu, bevor er im Jahr 2021 wieder auf die Straße kam.
Er verfügt über nicht ganz so viele Sonderausstattungen wie der 500 SL, an Bord sind als Extras aber immerhin die 4-Gang-Automatik (anders als der 500er hatte der 300 SL-24 serienmäßig ein Sport-Schaltgetriebe), Klimaautomatik, Fahrer- und Beifahrerairbag und Tempomat. Das Radio Becker Grand Prix wurde irgendwann leider gegen ein Philips CD-Radio getauscht (das muss ich bei Gelegenheit noch zurück-korrigieren). Damit hat dieser SL also nicht die gängigen Ledersitze, sondern die damals serienmäßigen und mittlerweile durchaus seltenen Sitze in Stoff Karo. Für mich ein optisches Highlight!
Beginnen wir den Vergleich der beiden mit einem Blick in die Mercedes-Preisliste aus dem Jahr 1990: Der 500 SL kostete satte 27.417 DM mehr als der 300 SL-24. Wir sind gespannt, ob man diesen großen Preisunterschied bei der Tour auch im Fahrgefühl entsprechend bemerkt.
Unsere Route führt uns vom Treffpunkt in Mönchengladbach aus zunächst durch den Niederrhein über Kempten, Goch, Xanten und Wesel, wo wir den Rhein überqueren. Autobahnen werden vermieden, da wir unsere SL auf den Landstraßen besser erleben können. In der Gegend von Haltern am See wandelt sich die Landschaft und wird erkennbar zum Münsterland: Hügeliger als am Niederrhein; Äcker, Wiesen, Weiden und kleine Wäldchen ergeben ein abwechslungsreiches Bild, man spricht nicht umsonst von der Münsterländer Parklandschaft.
Unterwegs auf den Landstraßen werden sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen den beiden SL deutlich. Beginnen wir mit den Gemeinsamkeiten: Die Tatsache, dass beide mit der 4-Gang-Automatik ausgerüstet sind, sorgt ohne Frage für gewisse Ähnlichkeiten im Fahrgefühl. Wäre der 300 SL-24 mit dem serienmäßigen 5-Gang-Sportschaltgetriebe von Getrag ausgerüstet, wären die erlebten Unterschiede sicherlich noch signifikanter.
Trotz der gemeinsamen 4-Gang-Automatik bleibt aber genug Raum für Unterschiede: Die Charakteristik der beiden Motoren ist tatsächlich grundlegend verschieden. Das manifestiert sich unmittelbar auf den ersten Kilometern in der Akustik: Der Sechszylinder ist auch im Teillastbereich bei niedrigen Drehzahlen mit einem geschmeidigen, aber sonoren Motorgeräusch präsent, wo der V8 im 500 SL praktisch noch nicht hörbar ist. Wenn man das Gaspedal dann tiefer durchdrückt, werden beide akustisch präsenter.
Der 300 SL-24 hängt agil am Gaspedal und dreht mit seiner merklich kürzeren Übersetzung und einem vibrationsarmen Antrieb freudig hoch; ab 4.000/min mit einem zunehmend kräftigen Auspuffsound, der den Spaß am offenen Fahren wirkungsvoll unterstützt.
Ganz anders der V8: Er packt bereits bei niedrigen Drehzahlen überraschend kraftvoll – fast schon brutal – zu und vermittelt den Eindruck, in allen Drehzahlbereichen Leistung im Überfluss bereitzustellen. Er kann auch hochdrehen, verleitet aber weniger dazu. Ein simples Durchdrücken des Gaspedals reicht im 500 SL auch bei geringen Drehzahlen für Fahrleistungen, für die der 300 SL-24 fleißig drehen muss. Passenderweise liegt die Drehzahlgrenze des 300 SL-24 mit 7.000/min ein gutes Stück höher als die des 500 SL (6.000/min).
Die akustischen Unterschiede im Innenraum bleiben auch beim Vorbeifahren der Fahrzeuge nicht verborgen. Diese zwei kurzen Videos unserer beschleunigenden R129-Modelle sind deshalb vor allem akustisch interessant. Fangen wir mit dem 300 SL-24 an:
Und hier gibt es im direkten Vergleich dazu den 500 SL mit seinem charakteristischen V8-Stakkato zu hören:
Eine Besonderheit des Mercedes R129 war bei seiner Markteinführung auch die Aufteilung des Kombiinstruments in fünf Rundinstrumente. Sie geht auf den damaligen Konstruktionschef zurück, Professor Joachim-Hubertus Sorsche. Er setzte sich mit seiner Meinung durch, dass bei exklusiven Automobilen fünf Rundinstrumente zum guten Ton gehören. Hier erkennt man auch direkt den Unterschied zwischen den beiden Modellen daran, dass beim 300 SL-24 der rote Bereich des Drehzahlmessers erst bei 7.000/min beginnt.
Wenn man es drauf anlegt, erreicht der 500 SL natürlich merklich bessere Fahrleistungen als der 300 SL-24, wie die Messwerte der auto motor und sport in Heft 21/1989 aufzeigen. Trotzdem bleibt die Erkenntnis, dass der stärkere SL nicht notwendigerweise der sportlichere ist. Der 300 SL-24 punktet mit seinem drehfreudigen Motor und einer sportlichen Akustik sowie einer etwas leichtfüßigeren Reaktion auf Lenkbewegungen, während der 500 SL die Trägheit der großen Masse nicht immer leugnen kann. Im 500 SL hingegen faszinieren der V8-Sound und die enormen Drehmoment-Reserven in allen Drehzahlbereichen.
Die Experten von auto motor und sport kamen in ihrem Vergleichstest 1989 zu folgendem Resümee:
Die Wahl fällt schwer – nicht zuletzt deshalb, weil ein in seiner Grundkonzeption so gutes Auto wie der Mercedes SL mit jeder Motorisierung ein überzeugendes Angebot darstellt. Das beste Preis-/ Leistungsverhältnis findet der Käufer beim 300 SL, das sportlichste Auto ist der 300 SL-24. Der 500 SL ist reiner Luxus, auf den man um so leichteren Herzens verzichten kann, je weniger man ihn sich leisten kann.
Götz Leyrer in auto motor und sport 21/1989
Unabhängig von der Motorisierung sind beide Fahrzeuge eine sehr gelungene Mischung aus Roadster und Reisefahrzeug, in denen sich auch mehrstündige Etappen weitgehend ermüdungsfrei zurücklegen lassen. Dank hervorragendem Windschott kann man den SL auch bei leichtem Nieselregen noch gut offen fahren – obwohl unsere Tour Mitte Juli stattfand, war die Sonne an diesem Tag leider selten zu sehen…
Und wenn der Niederschlag stärker wird, gibt es im R129 keinen Grund zur Sorge, denn das Stoffverdeck lässt sich per Knopfdruck elektrohydraulisch vollständig öffnen und schließen. Im Jahr 1989 war das eine spektakuläre Innovation – bis zum R129 gab es das so nicht auf dem Markt. Dank dieser Innovation dauert es nur 30 Sekunden, das Dach zu öffnen oder zu schließen. Wirklich beeindruckend, aber die größte Ingenieurleistung dieser Konstruktion bleibt unter der Verdeckhaut verborgen: Da die Karosserie nach hinten schmaler wird und das Verdeck genau an der breitesten Stelle der Karosserie nach hinten geklappt werden muss, bestand damals eine große Herausforderung darin, das Verdeck in dem sich nach hinten verjüngenden Verdeckkasten unterzubringen. So ist eine aufwändige Konstruktion entstanden, die dafür sorgt, dass die Stoffhalterung, die auf dem Stumpf der B-Säule sitzt, um 30 Millimeter nach innen gerückt wird. Herausforderung gelöst!
Angesichts des Regenschauers in Münster erschien uns ein Zwischenstopp beim renommierten Youngtimer-Händler Klassikland opportun. Hier kann man mitten zwischen vielen raren Auto-Angeboten der 70er, 80er und 90er Jahre gemütlich Kaffee trinken. Leider mussten wir bei Ankunft aber feststellen, dass sich das Team im Betriebsurlaub befindet – schade. Der Blick durch die Glasscheibe zeigt, dass hier spannende Youngtimer zu finden sind, wie zum Beispiel der VW Golf I GTI aus erster Hand oder der BMW 850i, die aber preislich auch nicht gerade als Schnäppchen zu bezeichnen sind…
Die Reize der Stadt Münster beschränken sich natürlich nicht auf Youngtimer-Händler. Die Münsteraner Innenstadt ist wirklich einen Besuch wert – neben vielen historischen Gebäuden wird die Kultur der Innenstadt nicht zuletzt durch ihre zahlreichen Studenten (rund 65.000) geprägt.
Nach so einer ausgiebigen Vergleichsfahrt sind am Ende des Tages sowohl die SL als auch ihre beiden Fahrer froh, am Ziel für die Nacht angekommen zu sein. Wir haben uns mit dem Landhaus Eggert ein wunderschönes, familiengeführtes Hotel am Rande von Münster ausgesucht, das eine tolle Küche und (vorzugsweise bei besserem Wetter) die „schönste Terrasse des Münsterlandes“ bietet. Für den Endpunkt einer Youngtimer-Tour durchs Münsterland ist dieses Haus ohne Frage sehr empfehlenswert!
Und während drinnen am späten Abend noch über die Erkenntnisse der Tour philosophiert wird, sind unsere beiden (un-)gleichen SL draußen wahrscheinlich bereits eingeschlafen 🙂