Als Familienvater mit drei Kindern kommt man ins Überlegen, welches Auto das richtige ist. Was ich aus eigener Erfahrung berichten kann: Einige Jahre kommt man mit dem klassischen BMW-Kombi gut zurecht, aber irgendwann werfen stete Beschwerden über die Enge auf der Rücksitzbank Fragen auf: Es gibt doch heute so viele Familienautos mit fünf (oder mehr) vollwertigen Sitzen. Und während der Familienrat das Angebot an familientauglichen Vans diskutiert, wird mir bewusst, dass die Optionen vor gut 30 Jahren ganz andere waren.
Die ersten Vans in Europa kamen Mitte der 1980er Jahre auf den Markt. Ich denke da vor allem an den Renault Espace (Neuerscheinung 1984) und den Chrysler Voyager (Markteinführung Europa 1988). Beide legten Grundsteine für den späteren Erfolg dieses Fahrzeugsegments. In den letzten 20 Jahren war der Markterfolg der Vans nicht aufzuhalten.
Mit dem Siegeszug der Vans ist ein anderes Fahrzeugsegment in großen Teilen verloren gegangen: Verlängerte (Stretch-) Limousinen, oft auf Rohbaubasis von Drittfirmen produziert.
Mercedes dagegen hatte so eine „Großraumlimousine“ auf Basis von W123 / W124 über Jahrzehnte selbst im Angebot: Zunächst mit dem V123 (so nannte Mercedes die Langversion des W123) von 1977 bis 1986, dann mit dem V124 von 1990 bis 1995.
Der Mercedes V124 wurde schließlich auf der IAA 1989 präsentiert und ab Frühjahr 1990 produziert. Damit gab es nach vierjähriger Unterbrechung wieder eine echte Langversion bei Mercedes. Entwickelt wurde der V124 in Zusammenarbeit mit der Firma Binz in Lorch, die auch für die Rohbauarbeiten für die Serienfertigung durchführte.
Mercedes ging einen Schritt weiter als beim V123 und baute die Limousine nun mit sechs Türen und einer vollwertigen mittleren Sitzbank, die hinsichtlich Sitztiefe und Lehnenhöhe der Fondsitzreihe nahezu gleichkam. So bot der V124 Platz für acht Personen und war insgesamt eine stattliche Erscheinung!
Für den V124 bot Mercedes zwei Motorvarianten zur Auswahl: Den 250 D lang mit 5-Zylinder-Dieselmotor und 94 PS sowie den 260 E lang mit 6-Zylinder-Benzinmotor und 160 PS.
Der Radstand wuchs um 80 Zentimeter und brachte die Gesamtlänge auf stolze 5,54 Meter, wie das Datenblatt von Mercedes verrät:
Auch die zweite große Modellpflege des W124 („MoPf 2), bei der aus dem W124 die E-Klasse wurde, machte die Langversion noch mit: 1992 wurde der 250 D lang zum E 250 D lang, der 260 E lang wurde durch den E 280 E lang ersetzt.
Einen großen Haken hatte der V124 für den Einsatz als Familienauto aber: Wer sich dieses Modell bei Mercedes kaufen wollte, musste über große finanzielle Reserven verfügen. Das Studium der Mercedes-Preisliste vom 02.01.1990 offenbart zum Beispiel folgende Grundpreise:
- Wer einen 260 E als „normale“ W124-Limousine mit Sechszylinder kaufen wollte, sah sich mit einem Grundpreis von 53.637 DM konfrontiert.
- Wer sich etwas mehr gönnen und den sportlich-geräumigen 300 TE-24 als T-Modell mit 220 PS kaufen wollte, lag bereits bei 71.706 DM.
- Mehr Platz im Fond und mehr Leistung gefällig? Dann darf es vielleicht ein 420 SEL als S-Klasse mit V8-Motor und langem Radstand zum Grundpreis von 88.179 DM sein.
- Alle diese Preise toppte dagegen der V124: Er kostete als 260 E lang wahrhaft stolze 95.475 DM (ohne Optionen). Und auch der schwächere 250 D lang war mit einem Grundpreis von 88.122 DM nicht viel günstiger.
Auch wenn beim V124 einige Details wie Servolenkung, Klimaanlage, elektrische Fensterheber und Niveauregulierung (anders als beim W124) zur Serienausstattung gehörten, war er für viele Anwendungsfälle schlicht zu teuer. Dementsprechend gering blieben die Stückzahlen des V124. Insgesamt wurden vom V124 in 5 Jahren nur 2.342 Stück gebaut.
Heute ist das anders: Gut gepflegte V124 sind als Youngtimer aufgrund der sehr geringen Produktionszahlen zwar sehr schwer zu finden, aber (noch?) nicht übermäßig teuer. Ich habe das Marktangebot in den vergangenen 12 Monaten bei mobile.de im Auge gehabt und bin in dieser Zeit vier inserierten 260 E lang begegnet. Bei allen hat es sich um Reimporte gehandelt, aus der Schweiz, aus England und aus Japan, mit Preispunkten zwischen 15.900 und 29.900 Euro.
Wenn man aber einen guten findet, dann hat man vielleicht den perfekten Youngtimer für die Großfamilie angetroffen – so wie die sechsköpfige Familie Kistenpfennig, die gemeinsam mit ihrem 260 E lang in diesem Artikel aus der auto motor und sport vorgestellt wird.
Im Innenraum verfügt der V124 natürlich über die eine oder andere Besonderheit wie bspw. ein Autotelefon mit drei Hörern, einer für jede Sitzreihe. Besonders gefällt mir auch die kleine Armada von sechs elektrischen Fensterhebern in der Mittelkonsole!
Zum Ende dieses Beitrags muss leider zugeben, dass ich noch nie selbst einen V124 gefahren bin. Das steht definitiv noch auf meiner Liste; und wenn mal ein attraktiver V124 zu einem annehmbaren Kurs in meiner Nähe im Angebot sein sollte, kann ich nicht ausschließen, dass ich zuschlage. Es würde mich doch reizen, meine Familie mal in so einer Limousine ausfahren zu können.
Bis dahin müssen für den Fahreindruck YouTube und die eigene Fantasie reichen. Dieses Video hier gibt einen ganz guten Eindruck, wie es sich wohl anfühlen könnte, einen V124 zu fahren:
Wie ist Eure Meinung zum V124? Gibt es hier vielleicht sogar Leser, die selbst einen besitzen oder besessen haben?
Hochinteressantes, seltenes Fahrzeug. Ich fuhr selbst einen normalen W124 als 300E, das war ein sehr schöner Wagen.
Der V124 aus dem angehängten Video gehört mittlerweile mir – ich habe den Wagen von Nick abgekauft, im Video hat er das schon angekündigt. Das fahren macht viel Spaß und man fällt überall damit auf- Karosseriearbeiten sind natürlich gerade bei den speziell für den V124 schwierig, aber machbar. Ich habe sogar in Argentinien einen Mitarbeiter von Binz aufgetrieben,der an dem Wagen mitgearbeitet hat und mir Bildmaterial zur Verfügung stellte. Bei Instagrabist der Wagen auch: dielangeluise – ich würde mich freuen,wenn Ihr mir folgt.