Bei Neufahrzeugen bemisst sich der Wert maßgeblich am Listenpreis des Herstellers. Ganz anders ist es bei einem 30 Jahre alten Youngtimer: Im Laufe der Jahre hat sich der Marktwert vom ehemaligen Listenpreis entkoppelt. Vielmehr entscheiden Kriterien wie Attraktivität, Exklusivität und schlichtweg Marktangebot über den heutigen Marktwert. So kostet zum Beispiel ein VW Golf II GTI 16V heute dasselbe wie ein Mercedes 500 SEL, obwohl die damaligen Listenpreise um ein Vielfaches auseinander lagen.
Mir ist in diesem Zusammenhang immer wieder aufgefallen, dass insbesondere die ehemals sehr hochpreisigen Luxuslimousinen heute durch die Bank günstiger zu haben sind als vergleichbare Sportwagen.
Neupreis 1993 versus Zeitwert im Jahr 2023
Reisen wir zur näheren Betrachtung mal für einen Moment zurück ins Jahr 1993. Hier sind vier Pärchen von Autos, die jeweils aus dem gleichen Haus kommen und deren damalige Listenpreise fast identisch waren:
- BMW 750i vs. BMW M5
- Jaguar XJ12 vs. Jaguar XJS V12 Coupé
- Mercedes-Benz S 600 L vs. SL 600
- Volkswagen Golf III 2.0 Cabriolét vs. Corrado 16V
Schauen wir uns anhand dieser vier Pärchen also an, wie sich der Marktwert im Vergleich zum damaligen Listenpreis entwickelt hat.
Für die Neupreise 1993 habe ich die damaligen Preislisten für den deutschen Markt herangezogen und jeweils den Grundpreis ohne Sonderausstattung verwendet. Den heutigen Zeitwert habe ich anhand der mittleren Preisbewertung des Marktbeobachters Classic Analytics für die Zustandsnote 2 zugrunde gelegt.
BMW 750i vs. BMW M5
Für den stolzen Preis von rund 130.000 DM hatte man im Jahr 1993 beim BMW-Händler eine schwierige Entscheidung zu treffen: Für einen Listenpreis von 124.000 DM gab es den BMW M5 mit 340 PS, oder man legte 10.000 DM drauf und konnte einen BMW 750i mit Zwölfzylinder-Motor und 300 PS erwerben. Die große Mehrzahl dieser Entscheidungen fiel damals zugunsten des 750i aus: Er wurde alleine bis 1993 32.092 Mal gebaut, der M5 der Baureihe E34 insgesamt nur 11.989 Mal.
In kommerzieller Hinsicht darf sich heute freuen, wer den M5 in der Garage hat: Er verzeichnet einen Marktwert von 39.900 Euro, während ein 750i bei 15.500 Euro liegt – weniger als die Hälfte vom M5.
Jaguar XJ12 vs. Jaguar XJS V12 Coupé
Ähnlich schwierig war die Entscheidung beim Jaguar-Händler: Für 141.200 DM gab es den 1993 frisch erschienen Jaguar XJ12 mit dem neuen 6.0-Liter V12-Motor und 311 PS in der XJ81-Modellreihe. Den gleichen Motor gab es im XJS-Coupé für 142.000 DM – es war also wirklich eine Frage des Geschmacks und des Nutzungsprofils, ob man sich für den XJ12 oder den preisgleichen XJS entschied.
Heute ist die Wertentwicklung auch hier eindeutig: Der XJ12 wird in Zustandsnote 2 mit 16.000 Euro taxiert, das XJS V12 Coupé mit 28.000 Euro – nahezu der doppelte Marktwert also.
Mercedes S 600 L vs. Mercedes SL 600
Wer 1993 beim Mercedes-Händler bereit war, mehr als 200.000 DM auf den Tisch zu legen, konnte ein Luxus-Automobil mit dem grandiosen 6-Liter-V12 und 394 PS erwerben. Für 206.022 DM gab es den Mercedes S 600 L, für 220.110 DM den SL 600. Wer den Platz oder den Reisekomfort der Limousine brauchte, landete beim W140, ansonsten dürfte der R129 mit V12 auch verlockend gewesen sein. Wie sich die Kunden entschieden haben? Vom W140 mit V12 wurden insgesamt 35.916 Fahrzeuge gebaut, vom R129 mit V12 11.089 Stück. Die Limousine wurde also rund drei Mal mehr gebaut und ist bis heute häufiger auf dem Markt anzutreffen.
Das spiegelt sich im Marktwert wieder: Der S 600 L wird von Classic Analytics mit 13.500 Euro gelistet (was mir zugegebenermaßen gespiegelt am Markt etwas knapp bemessen vorkommt), der SL 600 mit 32.000 Euro. Man kann sich über ein paar Tausend Euro mehr oder weniger streiten – es bleibt die Feststellung, dass auch der Wert eines SL heute preislich deutlich über dem einer vergleichbaren S-Klasse Limousine liegt.
VW Golf 2.0 Cabriolét vs. VW Corrado 16V
Das vierte Paar in diesem Beitrag führt uns zum VW-Händler. Wer im Jahr 1993 Wert auf Fahrspaß legte und etwas mehr als 40.000 DM ausgeben konnte, hatte die Wahl zwischen einem VW Golf III 2.0 Cabriolét mit 115 PS für 42.950 DM oder einem VW Corrado 16V mit 136 PS für 43.600 DM. Beiden ist übrigens gemeinsam, dass sie noch bei Karmann in Osnabrück gebaut wurden – das Golf III Cabriolét 129.475 Mal, der VW Corrado 97.535 Mal, jeweils über alle Motorvarianten gerechnet.
Der Unterschied im Marktwert dieser damals preisgleichen Modelle ist heute ebenfalls überraschend groß: Der Classic Analytics-Marktwert des VW Golf III 2.0 Cabrio liegt bei 5.000 Euro, der des VW Corrado 16V mit 10.000 Euro dagegen doppelt so hoch.
Auch dieses Pärchen zeigt, wie stark die subjektive Wertschätzung am Markt die Preise bestimmter Modelle treibt. Der VW Golf III ist – auch als Cabriolét – noch nicht in der Wahrnehmung als wertgeschätzter Klassiker angekommen. Beim VW Corrado dagegen ist genau das in den vergangenen zehn Jahren sukzessive erfolgt.
Die Wertentwicklung des VW Corrado VR6 zeigt das sehr schön:
Vor zehn Jahren gab es den VW Corrado VR6 noch für rund 8.000 Euro, heute geht der Preis in Richtung 20.000 Euro. Anhand der Kurve wird gut sichtbar, wie sich die Wahrnehmung dieses Modells am Markt deutlich weiterentwickelt hat.
Werterhalt unserer vier Pärchen im Vergleich
Da alle Modelle und Listenpreise in diesem Beitrag aus demselben Zeitraum stammen, lässt sich der prozentuale Werterhalt – berechnet aus dem Verhältnis von Classic Analytics Marktwert zu damaligem Listenpreis – gut vergleichen. Die Bandbreite ist erstaunlich groß: Von 13% Werterhalt im Falle des S 600 L (dessen damaliger Listenpreis auch sehr hoch war) bis zu über 60% Werterhalt beim sehr gefragten BMW M5.
Als große Fans von Luxuslimousinen der 90er Jahre könnten wir natürlich darüber klagen, wie ungerecht es ist, dass sich die Sportwagen im Zeitwert so viel besser entwickeln als unsere Modelle. Ich sehe es dagegen genau andersherum:
Wie schön, dass so viele Luxuslimousinen der 90er auch heute noch vergleichsweise günstig zu haben sind!
Das Leben ist ungerecht, aber denke daran: Nicht immer zu Deinen Ungunsten!
John F. Kennedy